Sonntag, 2. November 2014

Die Schallmauer

Ich werde heute ein Buch, ich würde jetzt lieber schreiben: verschenken, weitergeben, aber es wird hier stehen: wegwerfen. Ein Buch, das ich vor bald 30 Jahren geschenkt bekam, von unserem Gemeindepfarrer und meiner Chorleiterin, als ich im Krankenhaus lag. Die Widmung: "Liebe ... , Geduld + Hoffnung im Krankenhaus, Deine...".


Das Buch hat mich einige Jahre begleitet. Ich sehe mich in meinem Zimmer sitzen, draussen ist es dunkel, drinnen brennt nur eine Kerze (dich ich selbst gestaltet habe in einem KSJ-Treffen) und ich lese in diesem Buch. Am Fenster. Bete. Versuche zu verstehen. Bin inspiriert. Glaube in die richtige Richtung zu sehen. Resigniere gleichzeitig. Ich werde es nicht schaffen, zu glauben.

Ich lese heute einige der Texte und Gebete. Ich erinnere mich kaum an den Wortlaut. Die Worte: sehr von den 80er Jahren geprägt. Diese Zeit atmet durch die Texte: atomare Bedrohung, saurer Regen, kalter Krieg, Dritte Welt. Aber auch: Liebe, sich selbst erkennen, sein Leben zu versäumen. Reduzierte Texte, damals wohl neu und provozierend, heute ein wenig angestaubt. Alle Themen immer noch aktuell, aber heute flankiert von so vielen neuen Krisen, dass diese Zeit vor 30 Jahren fast unschuldig wirkt.

Beunruhigend: mancheTexte machen mir auch heute noch Eindruck. Wohl einen ähnlichen, den sie mir vor drei Jahrzenten gemacht haben. Texte, die von der Angst handeln, nicht zu leben. Das Leben nicht zu leben, aus Angst vor Krankheit und Tod. Den Augenblick zu versäumen, weil ich immer an den nächsten Schritt denke. Die Schönheit nicht zu sehen, weil ich mich in Vorurteilen vergrabe.

Ich werde das Buch heute wegwerfen, weil ich in Gebeten keine Antwort für mich in dieser Welt finden werde. Aber soviel Emotion und Jugend liegt in dem Buch, in seinem Ton, auch seinem Einband, den ich so oft angeschaut und in meinen Händen gehalten habe, dass ich es nicht einfach gehen lassen kann. Ich verabschiede mich.