Samstag, 7. Januar 2012

Ein Karton voller Briefe und Papier (Teil 1)

Ein Karton voller Briefe, mitgenommen aus meinem Zimmer im Haus meiner Eltern. Um aufzuräumen und auszuräumen, Ordnung in meine Erinnerungen zu bringen, vielleicht auch um mich endlich von einigen dieser Erinnerungen zu befreien.

Der Weg dahin: Erinnerungen steigen wieder auf, und die meisten davon sind unschöne, lassen mich schlecht fühlen.

Postkarten meines Bruders, voller Glück und Zufriedenheit über seine Urlaube, die Gruppen junger Menschen, die er dort kennenlernt. Mein Gefühl dabei: ich hatte diese Zufriedenheit nicht, ich hatte diese Gruppe nicht, ich fühlte mich ihm wieder einmal unterlegen und er fühlte seine Überlegenheit mir gegenüber genauso und lies es mich lesen und spüren.

Ein Brief meiner alten Mitbewohnerin aus dem FSJ, ein sehr netter Brief, ich erinnere mich noch wie ich mich darüber freute, ebenso über das nette Geschenk, das ihm beilag. Aus Nachlässigkeit meldete ich mich nicht sofort zurück, schob es immer wieder auf, meldete mich nie. Wir haben nie wieder voneinander gehört.

Ein Brief einer Studienfreundin, die meine sehr gute Freundin wurde, die von einem Tag auf den anderen mit mir Schluss machte, nie wieder ein normales Wort mit mir redete.

Eine Zeitungsseite der Tageszeitung der Stadt, in der ich zu studieren begann. Meine Anzeige für ein Zimmergesuch ist darin zu finden. Die Anzeige war nicht erfolgreich, statt dessen bekam ich ein Zimmer, das inseriert war, ausserhalb der Stadt, bei einer Familie. Ich war dort Fremdkörper, erschreckte einmal die Frau ganz furchtbar, weil die vergessen hatte, dass ich im Zimmer nebenan war, einmal wurde durch mein Zimmerfenster eingebrochen. Furchtbare Monate.

Viele Briefe und Postkarten aus der Zeit vor und nach dem Abitur. Sie wieder zu lesen lässt mich staunen: wir haben uns alle so vermisst. Wir haben uns unterstützt und gesagt, dass wir uns brauchen und lieben. Meine Erinnerung hätte mich hier getrogen: ich habe diese Zeit so schmerzhaft in Erinnerung, ich fühlte mich allein und verlassen, die anderen waren zusammen, ich war nicht Teil davon. Diese Briefe und Karten belehren mich: ich hatte Freunde, echte Freunde, die Gruppe, in der ich mich während drei Jahren bewegte, war aus echter Freundschaft entstanden. Und ich war Teil von ihr, von den Menschen. Wie konnte ich dieses Zeit in meiner Erinnerung so verbiegen?

Und rückblickend, mit dem Abstand, erklärt sich mir nun auch viel einfacher, wieso ich so unendlich lange gebraucht habe, mich von meinem Leben in der Schule zu verabschieden. Das Abitur war für mich das Ende einer Gemeinschaft, in der so viel Freundschaft war, Verständnis und Hoffnung, Bestätigung und Herausforderung. Ich war so aufgehoben in diesen Jahren.