Mittwoch, 29. Mai 2013

Thierry Cohen - Villes éteintes

Vertraute Skylines, Städte in der Nacht, aber kein menschengemachtes Licht erhellt die Dunkelheit. Befremdlich, beängstigend, und gleichzeitig traumgleich.


(c) Thierry Cohen

(c) Thierry Cohen

Sternenlichter, das Licht von Galaxien, das Universum - so also haben die Menschen unseren Himmel bis vor hundert Jahren noch gesehen, demütig gegenüber der Schöpfung, unterworfen den Mächten der Erde, den Gewalten der Natur. Unter solch einem Eindruck kann ich wieder verstehen,  dass es den Glauben an Gott oder Götter brauchte, um mit einer solchen Macht umzugehen, um nicht unterzugehen, standzuhalten.

Thierry Cohen fotografiert Städte und bearbeitet die Bilder so, dass keine künstliche Lichtquelle zu sehen bleibt. Aufgrund der Lichtverschmutzung ist der Himmel auf den Aufnahmen sternenlos. Er nimmt dann auf demselben Breitengrat, auf dem das Stadtfoto entstand, den unverschmutzten Nachthimmel auf und montiert die beiden Fotografien - das Ergebnis:

unsere Städte, wie wir sie sehen würden, wenn keine Lichtquelle die Sicht auf den Nachthimmel stört.

Mehr Bilder auf http://thierrycohen.com.

Ana Carolina Seu Jorge - É Isso Aí

Ein wunderbarer Coversong von Damien Rice's Song "The Blower's Daughter"


Damien Rice - The Blower's Daughter

In die Vergangenheit ausgebreitet

"Wir sind nicht auf unsere Gegenwart beschränkt, sondern weit in die Vergangenheit ausgebreitet. Das kommt durch unsere Gefühle, namentlich die tiefen, also diejenigen, die darüber bestimmen, wer wir sind und wie es ist, wir zu sein. Denn diese Gefühle kennen keine Zeit, sie kennen sie nicht und sie anerkennen sie nicht. [...]

Ich bin immer noch dort, an jenem entfernten Ort in der Zeit, ich bin dort nie weggegangen, sondern lebe ausgebreitet in die Vergangenheit hinein, oder aus ihr heraus. Sie ist Gegenwart, diese Vergangenheit. Die tausend Veränderungen, welche die Zeit vorangetrieben haben - sie sind, gemessen an dieser zeitlosen Gegenwart des Fühlens, flüchtig und unwirklich wie ein Traum, und auch trügerisch wie Traumbilder.

Und nicht nur in der Zeit sind wir ausgebreitet. Auch im Raum erstrecken wir uns weit über das hinaus, was sichtbar ist. Wir lassen etwas von uns zurück, wenn wir einen Ort verlassen, wir bleiben dort, obgleich wir wegfahren. Und es gibt Dinge an uns, die wir nur dadurch wiederfinden können, dass wir dorthin zurückkehren. Wir fahren an uns heran, reisen zu uns selbst [...]. Was könnte aufregender sein, als ein unterbrochenes Leben mit all seinen Versprechungen wiederaufzunehmen?

Es ist ein Fehler, ein unsinniger Gewaltakt, wenn wir uns auf das Hier und Jetzt konzentrieren in der Überzeugung, damit das Wesentliche zu erfassen.

Worauf es ankäme, wäre, sich sicher und gelassen, mit dem angemessenen Humor und der angemessenen Melancholie, in der zeitlich und räumlich ausgebreiteten inneren Landschaft zu bewegen, die wir sind."

Pascal Mercier, "Nachtzug nach Lissabon"

Die Anerkennung der Verwirrung

"Am Ende stehen lauter Widersprüche auf dem Papier. Lange Zeit habe ich geglaubt, das sei ein Mangel, etwas, das es zu überwinden gelte.

Heute denke ich, dass es sich anders verhält: dass die Anerkennung der Verwirrung der Königsweg zum Verständnis dieser vertrauten und doch rätselhaften Erfahrungen ist."

Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon

Spuren des Vergangenen

"Warum machen mich Spuren des Vergangenen traurig, auch wenn es Spuren von etwas Heiterem sind?"

Pascal Mercier, "Nachtzug nach Lissabon"

Der Brief

Versöhnung - das ist das Wort, das mir endlich ein Stück weiterhilft. Es geht nicht darum, meine Geschichte, meine Geschichten zu überwinden. Es geht darum, mich mit ihnen zu versöhnen.

Seine Reaktionen auf meine letzten Mails waren kurz, zu kurz als dass ich mir noch vormachen könnte, er wolle eine Verbindung aufrecht erhalten. Ich weiss nicht, was ich mir erwartet habe - dass auch er über die Jahre nicht von mir lassen kann, dass ich weiterhin eine Rolle in seinem Leben einnehme, eventuell sogar einen Teil seines Lebens besetze, dem er hinterhertrauert (so wie ich es tue). Wie hätte ich das wirklich glauben können, sein Leben, das ein beruflich erfolgreiches ist, er, der seit Jahren eine feste glückliche Beziehung mit einer klugen schönen Frau führt. Und wieso passiert es mir, die ich seit Jahren eine feste glückliche Beziehung führe und mit zwei wunderbaren Kindern beschenkt wurde. Versöhnung.


Und dann der Brief. Vor zwei Tagen überreichte ihn mir der Postbote und ich erkannte die Handschrift sofort. Seither liegt er ungeöffnet -

Das Gefühl der Freude verlängern. Den Inhalt erspüren, alle Möglichkeiten des Inhalts ausloten. Der Brief bekommt unnötig viel Raum und Bedeutung. Wieder werde ich mich selbst enttäuschen, weil ich eben doch wieder überhöhte und unnötige Erwartungen habe. Was ich erwarte? Ein Zeichen, das er ehrlich an mich denkt, an mir interessiert ist, weil wir uns einmal alles bedeutet haben, weil mein Menschsein ihn angeht, meine Gedanken, mein Leben. Eine gute Portion verletzter Stolz ist mit dabei, das muss ich leider vor mir selbst zugeben, verletzter Stolz, dass er mich nicht mehr wollte, auch ein Minderwertigkeitsgefühl, dass ich nicht gut genug für ihn war, Unsicherheit, ob seine Liebe für mich wirklich Liebe war, oder nur seine überraschte Reaktion, dass er eine solche Liebe in einem anderen Menschen auslösen kann. Ich würde ihn gerne einmal fragen, ob er mich wirklich geliebt hat, er, meine Liebe.

Diese Antwort wird nicht in dem Brief stehen. Das, was ich gerne von ihm hören würde, werde ich nicht in dem Brief lesen.

Ich kann meine Versöhnung also fortsetzen, trotz Brief. Der Brief ändert nichts an dem notwendigen Prozess.  Meine Versöhnung soll sein: diese Jahre mit ihm waren gut, haben mich nachhaltig geprägt, meine Bedürfnisse und Interessen geformt. Dass er nicht mehr für mich da ist, sollte für mich Herausforderung sein, nicht Niederlage. Die Erinnerung an meine erste grosse Liebe soll mich glücklich machen, nicht trauernd. Sie darf mir nicht mein Jetzt vergiften, sie soll es bereichern und beruhigen. Diese Liebe und dieser Mann sind Teil meines Lebens, ich sollte davon reden können, und es nicht begraben wie einen dunklen schmerzenden Schatz.